Nerdcore.de – Wie eine Abmahnung zur Domainpfändung führen kann

Der bekannte Blogger René Walter hat anscheinend seine Domain Nerdcore.de an die Euroweb Internet GmbH verloren, welche nunmehr als neue Domaininhaberin bei der DENIC eingetragen ist.

Als mutmaßliche Ursache gibt Walter auf blog.rebellen.info an, dass er auf eine Abmahnung von Euroweb nicht reagiert habe. Diese hätte er erhalten, nachdem er das Unternehmen als „Arschgeigen“ bezeichnet habe. Auch soll er auf ein anschließendes Urteil nicht reagiert haben.

Ob dies alles so zutreffend ist, ist noch nicht klar. Ich empfehle die weitere Entwicklung bei Netzpolitik zu verfolgen. Wie jedoch ein Schimpfwort und eine nicht beachtete Abmahnung zum Verlust einer Domain führen können, möchte ich in diesem Beitrag darstellen.


Beleidigung führt zur Abmahnung

Die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes erlaubt auch scharfe und polemische Kritik. Und je mehr ein Unternehmen im Lichte der Öffentlichkeit steht, desto schärfer darf sie sein. Was jedoch nicht erlaubt ist, sind Beleidigungen und Schmähungen, also unsachliche Äußerungen, die eine Ehrverletzung zum Ziel haben. Dazu gehören insbesondere vulgäre Ausdrücke wie „Arschgeigen“, die regelmäßig Grenzen eines rechtlich zulässigen Schlagabtausches verlassen (und auch wenn sie lediglich nah an der Grenze sind, Unternehmen zur Verteidigung herausfordern können).

Wessen Ehre verletzt wird, der kann

  1. einen Strafantrag wegen Beleidigung stellen und was wichtiger ist,
  2. per Abmahnung die Unterlassung der Aussage  und die Verpflichtung eine solche Aussage nicht zu wiederholen (und bei Verstoß eine saftigen Geldbetrag zahlen zu müssen) fordern.
  3. Ferner enthält ein solches Abmahnungsschreiben die Aufforderung die Kosten des Rechtsanwalts, der die Abmahnung erstellt hat, zu übernehmen und
  4. gegeben falls auch Schadensersatz für die Ehrverletzung zu zahlen.

Unbeachtete Abmahnung führt zur Gerichtsentscheidungen

Eine Abmahnung enthält immer eine (meist knapp bemessene) Frist, innerhalb welcher man reagieren soll. Und daran sollte man sich halten. Der schlimmste Fehler, den man machen kann, ist die Abmahnung einfach nicht zu beachten. Dann wird der Fall regelmäßig weiter vor Gericht verfolgt, was mindestens zur Verdopplung der Kosten führt.

Denn wird die Frist missachtet, kann die Gegenseite

  1. Vor Gericht ziehen und dort die Unterlassungs- & Verpflichtungserklärung sowie die Erstattung der Abmahnungskosten und Zahlung von Schmerzensgeld durchsetzen oder
  2. die Kosten per Mahnbescheid vor Gericht geltend machen. Mit einem Mahnbescheid kann man zwar nur Geldforderungen geltend machen, aber dafür reicht es aus, sie zu behaupten. Denn der Mahnbescheid wird ohne Prüfung der Behauptungen erlassen!

In beiden Fällen wird man jedoch eine weitere Nachricht vom Gericht erhalten. Entweder in Form einer einstweiligen Verfügung, bzw. eines Urteils nach einem Gerichtsverfahren oder eines Mahnbescheides.

Mahnbescheide und Gerichtsentscheidungen führen zum Vollstreckungsbescheid

Wer auf eine Gerichtsentscheidung nicht nicht reagiert, muss damit rechnen, dass die Gegenseite beim Gericht die Vollstreckung der Gerichtsentscheidung beantragt. Vollstreckung bedeutet die Durchsetzung der im Urteil festgestellten oder im Mahnbescheid enthaltenen Ansprüche (also letztendlich der Ansprüche aus der ursprünglichen Abmahnung).

Soweit es sich dabei um die Abmahnungskosten und das Schmerzensgeld und Gerichtskosten handelt, werden diese durch Pfändung vollstreckt. Dabei werden demjenigen gegen den sich das Urteil richtet, entweder Sachen weggenommen (z.B. Pfändung eines PKW oder der Büroeinrichtung) oder Rechte entzogen (z.B. Pfändung eines Markenrechts, Gehaltsforderungen oder einer Domain).

Ganz ärgerlich ist die Nichtbeachtung von Mahnbescheiden. Denn wird diesen innerhalb von zwei Wochen nicht widersprochen, werden auf ihrer Grundlage Vollstreckungsbescheide erlassen. Und dann kann auch eine behauptete Forderung, die gar nicht stimmt, rechtmäßig vollstreckt werden!

Vollstreckungsbescheide führen zur Domainpfändung

Der Inhaber eines Vollstreckungsbescheides kann es sich aussuchen, was er pfänden lassen möchte. Er kann Sachen oder Rechte pfänden, selbst gebrauchen oder sie versteigern lassen. Er kann Forderungen pfänden (z.B. Bankkonten oder Gehaltsforderungen), aber auch andere Rechte zu denen die Domain gehört (genau genommen werden lt. BGH Beschluss vom 05.07.2005 Az.: VII ZB 5/05 die Ansprüche gegenüber der DENIC auf Eintragung, Aufrechterhaltung und Zuordnung der Domain gepfändet).

Gegen eine solche Pfändung kann man auch Einwendungen erheben. Zum Beispiel, wenn

  • die Domain erforderlich für die Erwerbstätigkeit von Privatpersonen ist.
    Das könnte im Fall Nerdcore zutreffen, da die Domain sich „im Verkehr durchgesetzt“ hat und nicht ohne weiteres gewechselt werden kann.
  • die Domain dem eigenen Namen entspricht (§ 12 BGB) oder Teil einer Firma ist (§ 23 HGB)
  • oder viel mehr wert als die vollstreckte Forderung ist (Überpfändung, die jedoch nicht gilt, wenn es sonst nichts zu pfänden gibt)
    Auch dieser Punkt käme für Nerdcore in Frage, da die Domain um ein Vielfaches mehr wert sein dürfte, als die Forderungen wegen der Ehrverletzung und der Gerichtskosten.

Mit diesen Einwendungen kann man zwar die Pfändung der Domain abwenden, kommt aber regelmäßig nicht um die Vollstreckung in andere Werte oder Erfüllung der Ansprüche herum. Denn was man an dieser Stelle in der Regel  nicht mehr behaupten kann, ist die Unrichtigkeit der Abmahnung, des Mahnbescheids oder des Urteils.

Fazit: Abmahnungen, Post vom Anwalt oder Gericht nicht liegen lassen

Wer Fristen in Abmahnungen oder Gerichtlichen Entscheidungen verstreichen lässt, kann sich schnell Pfändungsmaßnahmen gegenüber sehen, gegen die er nichts mehr unternehmen kann. Gerade im Fall von Mahnbescheiden können auch unberechtigte Forderungen vollstreckt werden, was ganz ärgerlich ist. Leider hilft die Wut dann nicht mehr weiter. Denn gegen die Pfändung einer Domain selbst wird man nur in den wenigsten Fällen etwas tun können.

Schaut man sich jedoch den Shitstorm an, der Euroweb als Folge des Streisandeffektes gerade um die Ohren fliegt, so wird klar, dass auch Rechtsanwälte sich mit Social Media auskennen sollten, bevor sie zu traditionellen Mitteln greifen. Hier gilt es abzuwägen, ob weichere und reputationserhaltende Mittel statt einer Abmahnung oder Pfändung angebrachter wären. Alles andere ist gegenüber dem Mandanten unverantwortlich.

Ich bleibe gespannt, wie es in dem Fall Nerdcore weiter geht und werde den Beitrag hier entsprechend updaten.

Weitere Informationen

Update 18.01.2011

Laut Stellungnahme von Euroweb auf Nerdcore.de hat René Walter wohl auf ein Urteil nicht reagiert, woraufhin die Domain gepfändet wurde. Ob die Domainpfändung selbst zulässig war, wird die anschließende gerichtliche Auseinandersetzung zeigen, die Walter ankündigt.

Update 20.01.2011

Da es ein langes Update geworden wäre, habe ich einen eigenen Beitrag daraus gemacht, der die derzeit kursierenden Fragen beantwortet. Zum Beispiel die, wer den Mehrerlös aus der Domainversteigerung bekommt: Nerdcore.de – Fragen zur Pfändung einer Domain (Recht und Ungerecht)

Nerdcore.de – Wie eine Abmahnung zur Domainpfändung führen kann

50 Gedanken zu „Nerdcore.de – Wie eine Abmahnung zur Domainpfändung führen kann

  1. Alleine schon die unverschämt kurzen zwei Wochen Einspruchsfrist auf einen Mahnbescheid zeigen, dass in Deutschland irgendwas nicht stimmen kann. Und ansonsten: macht sich etwa kein Gerichtsvollzieher Gedanken über den Wert einer Sache, bevor er etwas pfändet? Gehört so etwas nicht zum Beruf dazu?

    1. Von sich aus sind die Vollstreckungsstellen nicht verpflichtet nachzuforschen. Daher werden die nur bei offensichtlichen Fehlern von der Vollstreckung absehen. Ansonten würden sie (bzw der Staat für sie) die Gefahr laufen vom Vollstreckungsgläubiger belangt zu werden.

  2. Der Fehler an diesem Rechtsgeschwurbel ist, dass ich seinerseits einen Anwalt beauftragen muss um auf eine Abmahnung zu reagieren. Selbst wenn sich hinterher die Abmahnung als ungerechtfertigt, überzogen oder sonstwas darstellt habe ich zusätzliche Kosten verursachen müssen. Ein wirtschaftlich starkes Unternehmen ist somit immer in der Lage „mal einen Ballon“ steigen zu lassen und dem wirtschaftlich schwachen Blogger bleibt nur die Schere im Kopf!

    1. Das ist richtig und ein traditionelles Rechtsproblem. Um es metaphorisch auszudrücken: die Seite mit der größeren Kriegskasse kann sich die Meisten Kanonen, Nebelwerfer und Fehler leisten. Auf der anderen Seite hilft das Wissen was man sagen darf vor Selbstzensur. Denn oft geht es nicht darum was, sondern wie es gesagt wird.

      1. Die Selbstzensur ist in diesem Fall unausweichlich, denn die gößere Kriegskasse erkauft sich das Recht schlichtweg. Irgendwie hab‘ ich immer massive Störgefühle wenn „traditionelle …probleme“ einfach so hingenommen werden.

          1. Diese Abmahn- Geschichte ist meiner Meinung nach eine Riesenschweinerei. Man ist quasi schon schuldig bevor ein Gericht die Sache geprüft hat. Ich finde da gibt es einigen Nachholbedarf seitens der Politik.

  3. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, könnten gleich zwei Gründe eine Pfändung der Domain unzulässig machen?

    Demzufolge kann wohl davon ausgehen, dass aus der Angekündigten Auktion vorerst nichts werden wird, oder?

    1. Ja, die Gründe können einzeln oder zusammen vorliegen. Wenn René gegen die Pfändung vorgeht, wird die Auktion wohl erst ausgesetzt.

  4. Pingback: » nerdcore offline?! – [update6] . . nutzloses zeug . .
  5. Vielen Dank für die Schilderung eines solchen Verlaufs. Nicht unbedingt immer schön, aber nachvollziehbar.

    Wieso können eigentlich nicht alle solches Rechtsgeschwurbel so einfach und verständlich erklären?

    Dem Nerdcore-René bleibt hier ja nur viel Glück und Erfolg zu wünschen. Zur Gegenpartei möchte ich hier lieber nichts mehr sagen. (Dafür steht mein aktueller Post aufm Blog.)

  6. Müsste im Falle einer Domainpfändung nicht der zuständige Gerichtsvollzieher Inhaber der Domain werden? Ist das korrekt, dass die Klägerin in diesem Fall Inhaberin geworden ist?

  7. Nur eine kurze Frage: Aus welchem Grund geht die Uhr neben Euren Kommentaren anders? Und: Ist das auch eine internetrechtliche Grauzone – dass ich hier in der Zukunft kommentiere?
    (Und die Frage ist wirklich ernst gemeint.)

  8. Pingback: gonzoradio.net » Der Fall Nerdcore.de.
  9. Pingback: Selbst schuld - Kiri's Satirekiste
  10. Der TON gibt die Musik an, ist ein altes Sprichwort. Eben selbiges weiß ich sehr zu schätzen nach Kontakt mit einem Fachanwalt für Internet-Recht, welcher aber glücklicher Weise für Mich antrat.

    Aus dem Wort „Arschgeige“, wie es benutzt wurde vom Nerdcore-Autor, kann leicht ein Wort oder Satz gemacht werden, welcher den gleichen Terminus enthält aber weniger denunzierend wirkt oder gar persönlich angreifend.

  11. Pingback: Streit: Nerdcore abgeschaltet » QuerBlog.de
  12. Pingback: Euroweb bringt einen Stein ins Rollen « Ein Mensch namens Lars
  13. @Thomas Schwenke

    Was mich mal interessieren würde. Darf man die einstweillige Verfügung, in der drinsteht, was die Person nicht mehr sagen darf, veröffentlichen?

    Wenn ja, dann beißt sich die Katze doch in den Schwanz. Anscheindend scheint unser Rechtssystem noch nicht vollständig internetkompatibel zu sein.

  14. Mich bewegt die Frage, was im Falle einer gepfändeten Domain mit E-Mails passiert, die den Pfänder durch den geänderten DNS-Eintrag erreichen. So könnten z.B. Informationen über Anmeldedaten wie Passwörter oder andere sensible Daten in fremde Hände fallen. Was sagt das Bundesdatenschutzgesetz und das Fernmeldegeheimnis dazu? Im Grunde ist das fast ein Abfangen der Kommunikation einer Person, also im Grunde Wirtschaftsspionage im Falle von juristischen Personen. Könnte die Firma EuroWeb im Falle nerdcore.de in eine solche höchst problematische Situation geraten sein? Muss dann darauf geachtet werden, dass E-Mails als unzustellbar abgewiesen werden müssen, damit EuroWeb sich keiner datenschutzrechtlichen Vergehen schuldig macht?

    1. Die E-Mails sind weg, die hat dann Dein Gegner.

      Lt. Staatsanwaltschaft Köln ist das Unterschlagen von E-Mails nicht strafbar, da es sich bei E-Mail um keine materielle Sache handelt.

      Ich hatte ebendieses Problem vor 11 Jahren: Ich wollte weder meinen Paypal-, Ebay- noch Amazon-Zugang meinem selbsternannten gegner übergeben und auch nicht meine E-Mails, die teils sehr persönlicher Natur waren.

      Unter Mißbrauch des Markenrechts wurde gegen mich entschieden, woran ich heute noch zahle und was mir meinen damaligen Beruf (Journalismus) unmöglich gemacht hat.

      Der Gegner betrachtete es als sein gutes Recht, meine Paßwörter einzusacken, Juristen sagten dann, ich könne erst dann etwas unternehmen (Strafanzeige), wenn er mit diesen wirklich auf meine Kosten einkaufe – vorher nicht. Und meine Ebay-Bewertungen wären dann auch weg gewesen. Denn man ist bei all diesen Diensten verpflichtet, seine E-Mail-Adresse sicher zu verwahren, aber genau deswegen wurde ich verurteilt.

      Ansich ging es aber nicht nur gegen mich sondern eben darum, dieses Verfahren salonfähig zu machen. Der kriminelle Abmahnanwalt Gravenreuth brachte die Grundsatzentscheidung zustande, daß Domains gepfändet werden können, weil Markenrecht halt nicht immer ausreicht, um einem anderen die E-Mail abzuknöpfen. Er nutzte das dann, um aus persönlichem/politischen Haß der linken Tageszeitung taz die Domain abzunehmen und so herauszufinden, was deren Leser und Autoren der Redaktion so schreiben.

      Er wurde verurteilt, aber nicht deshalb, sondern weil er gelogen hatte, was die offene Rechnung ebtraf – die hatte die taz sehr wohl bezahlt, er hätte also nicht mehr pfänden dürfen.

      Diese Euroweb-Firma profitiert also nun von dem, was erst Fritz Pleitgen undd ann Gravenreuth durchgekämpft haben.

      Briefgeheimnis? Interessiert keine Sau. Stattdessen hat man mich immer weiter beschimpft und beleidigt und argumentiert „also was ICH mit meiner Partnerin im Bett mache, das kann der westdeutsche Rundfunk gerne wissen, und wenn Dir das nicht so geht, dann bist Du verklemmt“.

      Die Online-Durchsuchung macht ja angeblich (!) vor dem Schlafzimmer Halt, solche Vorfälle dagegen nicht. Ein Russe, der mit Domainklau phisht, wird von Interpol gesucht, ein Intendant oder Euroweb-Geschäftsführer darf das dagegen 🙁

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