8 Regeln für die Verdachtsberichterstattung, die Journalisten und Blogger kennen müssen

Verdachtsberichterstattung
Fühlt sich jemand zu Unrecht oder auf Grundlage falscher Tatsachen verdächtigt, folgt dem Zorn oft der Gang zum Anwalt. Dies kann schnell 1.500 Euro und mehr kosten, je nach eigener Reichweite und des Bekanntheitsgrades des Betroffenen.  (Bild: gfairchildCC-BY)

Wenn ich meine zurückliegenden Fälle betrachte, dann stechen besonders viele Abmahnungen wegen unberechtigter Verdachtsberichterstattung hervor. Neben Onlinemagazinen waren besonders Blogger betroffen. Darunter waren insbesondere Berichte über „Abmahnwellen“, Fan-Kauf, Korruption oder Strafverfahren.

Da in Fällen rechtswidriger Verdachtsberichterstattung  eine Menge Ärger droht, z.B. die Pflicht zur Abgabe von strafbewehrten Unterlassungserklärungen, Schadensersatzzahlungen, Übernahme von Abmahnkosten oder schlimmstenfalls aufwändige Gerichtsverfahren, sollten Sie unbedingt die folgenden Regeln beachten, bevor Sie einen Verdacht online publizieren.

Presserecht für Journalisten und Blogger: Eine Zusammenstellung der wichtigsten rechtlichen Punkte, die Sie beim journalistischen Publizieren beachten müssen, finden Sie in meinem Artikel „Basiswissen Journalismus: Presserecht für Journalisten und Blogger“ im Upload-Magazin.

1. Interesse der Öffentlichkeit

Der Verdacht, über den berichtet wird, muss für das Allgemeininteresse bedeutend sein, z.B.:

  • Wegen der Schwere des Falles – z.B. schwerer Diebstahl, Betroffenheit einer Vielzahl von Personen (oft bei Massenabmahnungen), Schwere der verursachten Schäden (Insolvenzverschleppung) oder
  • Wegen Prominenz der Person – z.B. ein CEO eines StartUps, TV-Star, etc.

Daumenregel: Der Fall wird nicht erst durch die Art der Berichterstattung für die Öffentlichkeit von Bedeutung, sondern die Öffentlichkeit muss wegen der obigen Punkte an der Berichterstattung interessiert sein. So ist der Bericht wegen einen angeblichen Trunkenheitsfahrt eines CEO per se nicht für die Allgemeinheit interessant. Anders ist es, wenn es dadurch wirtschaftliche Implikationen geben kann oder er sich in der Öffentlichkeit als „Saubermann“ darstellte.

2. Identifizierung vermeiden

Die Identität und Bilder des Betroffenen sind soweit wie möglich aus der Öffentlichkeit zu halten:

  • Werden z.B. Ermittlungen gegen ein Unternehmen eingeleitet, sollte von „Ermittlungen gegen das Unternehmen X“ gesprochen werden. Sind die Geschäftsführer das Ziel der Ermittlungen, kann es „Ermittlungen gegen die Geschäftsführung des Unternehmens X“ heißen.
  • Nur in Fällen erheblicher Kriminalität (d.h. nicht wegen einfachen Betruges) oder bei Branchenprominenten, sollten die Personen mit Namen bekannt gegeben werden.
  • Auf Abbildungen der betroffenen Person sollte verzichtet werden, außer die Person bewegt sich selbst im Lichte der Öffentlichkeit (z.B. Prominente, bekannte Unternehmer).
  • Bei Jugendlichen ist jegliche Identifizierung zu vermeiden und nur in äußersten Ausnahmefällen zulässig. Das obige gilt auch für mittelbare Identifizierung, z.B. durch eine Personen- oder Funktionsbeschreibung in einem Unternehmen („der CEO der X GmbH„).

3. Eigenrecherche

Es reicht nicht aus sich auf fremde Medienberichte und Informationen von Hörensagen zu verlassen. Denn die Fakten die Sie behaupten, müssen Sie im Fall eines rechtlichen Verfahrens beweisen können.

So sollten z.B. Behörden angerufen oder angeschrieben werden. Erhält man keinen Kommentar, sollte sinngemäß der Zusatz „Die Staatsanwaltschaft Berlin wollte zu dem Vorgang keine Stellungnahme abgeben“ aufgenommen werden.

Agentur- & Laienprivileg: Fakten aus so genannten „privilegierten Quellen“ dürfen auch ohne Nachprüfung  übernommen werden (auch als Agenturprivileg bezeichnet). Dabei handelt es sich um amtliche Auskünfte oder anerkannte Presseagenturen. Jedoch ist auch hier Vorsicht geboten, wenn die Meldung zweifelhaft erscheint oder es an anderen Stellen bereits Dementi gibt. Daneben gibt es ein Privileg für Laien, die Medienaussagen wiederholen, bei denen vermutet werden darf, dass die Fakten ordnungsgemäß recherchiert worden sind. Das gilt jedoch nicht, wenn die Laien die Informationen selbst hätten recherchieren können. Im Großen und Ganzen gilt das Laienprivileg eher für Privatpersonen, die bloß die Medien wiedergeben, aber z.B. nicht für Blogger die selbst als Presse-Medium handeln. In beiden Fällen sollte die Quelle genannt werden, z.B.: „Berlin (Reuters): X teilte mit, dass…“ oder „Wie die Zeit schreibt…

4. Stellungnahme der Betroffenen

Den Betroffen soll eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden. Dazu sind sie oder ihre Anwälte anzurufen und falls der Anruf erfolglos war, anzuschreiben und um deren Version der Dinge zu erfragen. Dabei sollte mitgeteilt werden, wann der Artikel ca. erscheinen wird, 24h sollten zumindest zu Beantwortung gelassen werden.

Erfolgt keine Stellungnahme, sollte der Zusatz „Wir haben Herrn X um eine Stellungnahme gebeten, bis Redaktionsschluss jedoch keine Stellungnahme erhalten.“ aufgenommen werden. Alternativ kann auf offizielle und aktuelle Pressemitteilungen des Betroffenen oder seiner Anwälte, verwiesen werden.

Fakten & Vermutungen: Denken Sie daran Vermutungen nicht als Tatsachen darzustellen, solange Sie die Tatsachen nicht beweisen können. Wenn Sie z.B. erfahren haben, dass 50% der Facebook-Fans eines deutschen Unternehmens aus dem Vietnam kommen, dürfen sie nur dies als Tatsache berichten. Sie dürfen jedoch nicht behaupten, das Unternehmen „kauft Facebook-Fans“. Sie dürfen das nur vermuten, solange Sie den Kaufvorgang selbst nicht beweisen können.

5. Entlastende Argumente & Umstände

Es dürfen nicht nur Argumente berücksichtigt werden, die gegen den potentiellen Täter sprechen. Hat dieser z.B. andernorts entlastende Rechtfertigungen verlautbaren lassen, ist dies mit aufzuführen.

6. Keine Vorverurteilung, keine suggestiven Titel und Formulierungen

Die Formulierungen dürfen nicht ohne konkreten Beweis (z.B. Geständnis) den Eindruck erwecken, der Betroffene sei schuldig. Z.B. wäre im Fall von Ermittlungen über eine Insolvenzverschleppung die Formulierung „Warum hat X die Insolvenz verschleppt?“ unzulässig, da sie die Schuld des Betroffenen suggeriert.

Zulässig wäre „Falls X die Insolvenz verschleppt haben sollte, warum sollte er dies getan haben?„. Auch
die Aussage die Staatsanwaltschaft sei von der Schuld überzeugt, ist unzulässig, solange keine gerichtliche Anklage vorliegt.

7. Disclaimer

Es empfiehlt sich am Ende eines Artikels zur Sicherheit den folgenden Disclaimer aufzunehmen, z.B. im Fall einer Straftatvermutung:

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Ermittlungsverfahren die Unschuldsvermutung gilt. Dessen Einleitung bedeutet nicht, dass der strafrechtliche Vorwurf tatsächlich zutrifft.

8. Nachträgliche Entlastung und Archive

Alte Artikel müssen nicht korrigiert werden, solange anhand des Artikeldatums klar erkennbar ist, dass es sich um Archivartikel handelt (s. OLG Hamburg, 29.11.2011 – 7 U 80/11 und BGH, 30.10.2012 – VI ZR 4/12). Es lohnt sich also Artikel mit dem Veröffentlichungsdatum zu versehen.

Wird in einem späteren Artikel auf den alten Artikel verwiesen, müssen zwischenzeitige Ermittlungsergebnisse zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden, z.B. „Bereits vor zwei Jahren wurde gegen X wegen Untreue ermittelt [Link]Wir berichteten[/Link], das Verfahren ist jedoch eingestellt worden.

 Checkliste

  1. Interesse der Öffentlichkeit – Rechtfertigt das öffentliche Interesse die Nachteile, welche dem Betroffenen durch die Publikation des Verdachts entstehen?
  2. Identifizierung vermeiden – Ist es erforderlich Namen zu nennen oder Bilder zu zeigen?
  3. Eigenrecherche – Können Sie die behaupteten Fakten beweisen?
  4. Stellungnahme – Haben Sie die Betroffenen um Stellungnahme gebeten?
  5. Entlastende Argumente & Umstände – Haben Sie auch bekannte Fakten und Meinungen zu Gunsten der Betroffenen berücksichtigt?
  6. Keine Vorverurteilung – Titel und Formulierungen Ihres Artikels sollten offen sein und nicht suggerieren, dass der Verdacht zutreffend ist.
  7. Disclaimer – Zur Sicherheit sollten Sie auf den Verdachtscharakter Ihrer Aussagen und die Unschuldsvermutung ausdrücklich hinweisen.
  8. Nachträgliche Entlastung und Archive – Bei nachträglicher Entlastung der Betroffenen sollten Sie Ihren Artikel korrigieren oder zumindest muss erkennbar sein, dass es ein Archivartikel ist.

Praxistipps

Die vorstehenden Regeln müssen allen Journalisten bekannt sein. Damit meine ich jedoch nicht nur ausgebildete Journalisten, sondern auch alle, die sich zumindest journalisten-ähnlich meinungsprägend an die Öffentlichkeit richten. 

Bei den Regeln handelt es sich um Richtlinien, die im Einzelfall abzuwägen sind. Sie gelten umso mehr, je schwerer der Bericht dem Ansehen oder wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen schaden kann.

Nur unter Umständen kann Nachlässigkeit in einem Punkt (z.B. Nachfrage bei Betroffenen) durch besondere Sorgfalt im anderen Punkt (z.B. ausführliche Auflistung aller entlastenden Tatsachen und ausdrückliche Disclaimer) ausgeglichen werden.

Im Zweifel empfehle ich Ihnen zudem,

  • sich in die Lage der von Ihrem Bericht Betroffenen zu versetzen und
  • Ihren Verdacht nach dem Vier-Augen-Prinzip von jemandem kritisch gegenlesen- und hinterfragen zu lassen.

Update

  • 28.01.2014 – Die Anforderungen an die sog. Verdachtsberichterstattung von RA Stadler zum BGH Urteil vom 17.12.2013, Az.:VI ZR 211/12. Kollege Stadler erklärt auf Grundlage der BGH Entscheidung, inwieweit einer (möglicherweise befangenen) Informantin zu trauen ist und wie detailreich man die Anfrage zur Stellungnahme an die Betroffenen formulieren muss.

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Weitere Informationen

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6 Gedanken zu „8 Regeln für die Verdachtsberichterstattung, die Journalisten und Blogger kennen müssen

  1. Offensichtlich sind die rechtlichen und finanziellen Risiken, die sich aus einem Verstoß gegen diese Regeln ergeben, zu vernachlässigen, sobald man eine gewisse Auflagenstärke erreicht hat.
    Anders lassen sich die große Anzahl der vom Presserat veröffentlichten Rügen gegenüber auflagenstarken Medien nicht erklären (http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Presserat).
    Hier wäre eigentlich der Gesetzgeber gefordert, der aber selbst Angst vor negativer Berichterstattung bei hoher Auflagenstärke hat. Klingt nicht gut.

  2. Pingback: Links der Woche

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