Selten war ich bei einer neuen Technik so zwiegespalten, wie bei Googles „Glass„. Je näher die Serienreife der Datenbrille von Google rückt, je mehr begeisterte Berichte ich lese, desto weniger kann ich es erwarten sie selbst zu nutzen.
Die Ernüchterung folgt, wenn ich Google Glass juristisch betrachte. Selten drängten sich mir so viele Gefahren für Persönlichkeitsrechte auf. Und nach meiner Recherche zu diesem Artikel, weiß ich, dass ich mit diesem Zwiespalt nicht alleine bin.
In diesem Teil des Artikels zeige ich 10 Risiken auf, die Google Glass mit sich bringt. Im zweiten Teil werde ich prüfen, ob diese Gefahren berechtigt sind und ob wir neue Gesetze brauchen, um Glass in unsere Gesellschaft zu integrieren. Denn immerhin haben wir auch keine neuen Gesetze für Smartphones oder soziale Netzwerke und kommen meines Erachtens trotzdem ganz gut mit beiden zurecht.
Doch bevor ich zu dem rechtlichen Teil komme, möchte ich kurz erklären, wie Googles Datenbrille funktioniert.
Hinweise – Dieser Artikel ist ein Beitrag zu der „If I Had Glass“-Blogparade„, die Gerhard Schröder ausgerufen hat. Eine Sammlung von Quellen zum Artikel finden Sie am Ende des Artikels.
Was ist Google Glass?
Google Glass ist eine Datenbrille, die mit Hilfe einer Kamera und eines Mikrophons die Umgebung im Sichtfeld des Trägers erfasst (Infografik). Mit ihrer Hilfe können zum Beispiel Personen im Blickfeld per Foto oder Video aufgenommen, aber auch gescannt und mit Onlinedaten abgeglichen werden.
Über ein Display, das leicht erhöht vor dem Auge des Nutzers schwebt, können Informationen direkt eingeblendet werden. Bedient wird Glass über Sprachbefehle und Berührungen am Bügel. Sie wird mit einem Smartphone kommunizieren und durch Apps erweitert werden können. Angeblich wird auch die Erfassung der Pupillenbewegung möglich sein.
Zusammengenommen wird Glass sich in vielen Dingen, aber ganz besonders in einem wesentlichen Punkt von Smartphones unterscheiden.
Glass hat Hände nicht nötig
Smartphones sind heutzutage omnipräsent und aus unseren Händen nicht mehr weg zu denken. Auch sie können Fotos und Videos aufnehmen sowie die Umgebung scannen und mit Daten abgleichen. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass wir die Telefone für diesen Zweck anheben und auf das Aufnahmeobjekt richten müssen.
Bei Glass entfällt diese deutlich sichtbare Aufzeichnungsgeste. Vielmehr kann mit Glass eine Aufnahme gestartet werden, ohne dass das Gegenüber dies erkennt. Sofern ich weiß, ist das „Achtung Aufnahme“-Licht kaum auffällig, schon gar nicht aus weiterer Distanz.
Durch diese fehlende Aufnahmeerkennung ergibt sich bereits die erste rechtliche Gefahr.
Gefahr 1. Verletzung des Rechts am eigenen Bild
Ohne eine Aufnahmegeste wird es dem Glassträger ein Leichtes sein die Umgebung aufzuzeichnen, ohne dabei Hemmungen wie mit Smartphones zu haben. Diese Bilder und Videos können einfach geteilt und veröffentlicht werden.
Dabei können die Rechte am eigenen Bild der aufgenommenen Personen schnell verletzt werden. Denn auch Aufnahmen von Personen in der Öffentlichkeit dürfen nur ausnahmsweise (Versammlungen, Personen im Hintergrund, öffentliche Ereignisse) veröffentlicht werden. So würde der Reporter in diesem Video ohne Hinweis kaum merken, dass er aufgenommen wird:
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=xI_YGDMvlNY
Wem das zu weit hergeholt klingt, der möge das Phänomen der „Autovideos“ aus Russland betrachten. Dort fährt anscheinend fast jedes Auto mit einer Kamera durch die Gegend und die lustigen Videos tauchen im Netz auf. Jetzt stellen Sie sich vor, die Kamera ist nicht mehr an ein Auto und Straßen gebunden. Damit ist mit einer Flut von „lustigen“ Videos aus Cafés, Schulen, Wohnungen oder sonstigen Privatbereichen zu rechnen.
Doch nicht nur Personen können zum Aufnahmeobjekt werden.
Gefahr 2. Vertrauliche Gespräche, Schriftstücke und Geheimnisse
Mit Googles Glass können absichtlich und unabsichtlich vertrauliche Informationen erfasst werden. Angenommen ein Mitarbeiter befindet sich in einem Videochat, während seine Kollegen ein vertrauliches Gespräch führen oder geheime Unternehmenspläne ins Blickfeld geraten. Wenn wir uns diese Situation bei einem Arztbesuch vorstellen, wird sie noch unheimlicher.
Noch interessanter wird es, wenn die Informationen im Blickfeld mit vorhandenen Daten abgeglichen werden.
Gefahr 3. Biometrie und Datenschutzverletzungen
Vielleicht kennen Sie die „Augmented Reality„-Apps, die auf dem Display des Smartphones die Umgebungsaufnahme mit Daten anreichern. Ich nutze sie nur selten, weil es umständlich ist, mit einem Telefon vor dem Gesicht herum zu laufen. Aber mit der Datenschutzbrille können Informationen zu Bauwerken für Touristen, zu Mietangeboten für Wohnungssuchende, zu Preisvergleichen für Einkäufer oder zu Freunden in der Nähe eingeblendet werden.
Wobei, wieso nur Informationen zu Freunden? Wäre es nicht schöner, wenn man irgendjemanden trifft und dessen Facebookdaten sowie – aktivitäten werden angezeigt? Zudem hat Googles Datenbrille einen Zugriff auf die Googlesuche. Die Personen im Blickfeld zu googeln, wäre doch auch praktisch. Vielleicht kann man auch gleich das Bild des Kontakts bei Facebook oder einer Personensuchmaschine samt Begegnungsort einstellen.
Mit Hilfe von Glass kann also die reale Welt durchsuchbar werden. Dabei werden Daten von Personen erfasst und verbunden, die sonst getrennt wären.
Gefahr 4. Singuläre Identität
Es fällt mir persönlich bereits jetzt schwer die Berufswelt von meiner Privatwelt zu trennen. Doch das gilt vorerst für den Onlinebereich. Wenn ich privat unterwegs bin, nehme ich meine „Anwaltsidentität“ nicht mit. Wenn ich mit alten Freunden zusammen bin, verhalte ich mich anders, als im Beruf.
Doch wie würde ich mich verhalten, wenn meine Freunde Glass trügen oder wir uns inmitten von Menschen befänden, die unbemerkt Bilder von mir machen und ins Netz stellen könnten? Wahrscheinlich würde ich diese Identitätstrennung zwischen privat- und beruflich ähnlich wie im Netz aufgeben. Ich würde mir damit den Spielraum meiner persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten einschränken.
Diese Einschränkung könnte zudem politische Dimensionen erreichen.
Gefahr 5. Einschränkung der Meinungsfreiheit
Die Gerichte werden nicht müde zu betonen, dass bereits die Gefahr beobachtet zu werden, die Persönlichkeitsentfaltung und damit die Meinungsrechte einschränkt (s. Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Daher werden z.B. Kameraattrappen rechtlich wie echte Kameras behandelt. Zischen Glass-Trägern wird man ebenso nicht wissen, ob das eigene Verhaten gerade aufgezeichnet wird oder nicht.
Damit kommen wir auch in den Bereich, wo manche Vergleiche mit der Stasi aufwerfen. Wie bei allen Geheimdiensten totalitärer Staaten, zeichnete sich die Staatssicherheit durch Rekrutierung von Spitzeln unter gewöhnlichen Bürgern aus. Dadurch entstand eine Atmosphäre der Angst, die es verhinderte, dass Bürger ihre politischen Meinungen frei kund taten. Denn man wusste nicht, ob das Gegenüber die vertraulich mitgeteilten Informationen weitergab.
Diese Ängste könnten mit Glass wieder kommen. Angenommen Sie stimmen nicht mit dem Verhalten Ihres Arbeitgebers überein. Oder Sie kämen aus einem sehr religiösen Umfeld und würden gerne über Ihre Zweifel an Ihrem Glauben diskutieren. Würden Sie sich trauen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Restaurant offen kritisch zu diesen Punkten zu äußern, wenn Personen mit Glassbrillen in der Nähe sitzen würden?
Ich denke, viele Menschen würden sich mit ihren Meinungen erheblich einschränken und ihre Gedanken nicht mehr offen aussprechen. Vor allem, wenn Sie kaum kontrollieren könnten, wo ihre Daten erfasst und wie sie verarbeitet werden.
Gefahr 6. Big Data und staatliche Zugriffsrechte
Die staatlichen Behörden sind stets bestrebt, immer weiter auf unsere Daten zuzugreifen, sie zu scannen und nach Verhaltensmustern zu durchsuchen. Jegliche Art von Anschlägen führt bei staatlichen Stellen zu einer reflexartigen Forderung nach mehr Überwachung, Kontrolle und Zugriffsrechten auf Bewegungs- oder Kontaktdaten der Bürger.
Zwar werden die Gesetzvorhaben regelmäßig vom Bundesverfassungsgericht gerügt, doch der stete Tropfen höhlt den Stein. Ferner ist es nicht nur der deutsche Staat, der auf die Daten zugreifen will. Vor allem die Zugriffe der US-Behörden auf die in der Cloud von Google gelagerten Daten werden zu einer Bedrohung für Freiheitsrechte.
Aber auch von Google selbst könnten Gefahren für die Persönlichkeitsrechte ausgehen.
Gefahr 7. Machtkonzentration der Branchenriesen
Martin Weigert schrieb zurecht, dass Google dank Glass noch mehr Daten, damit mehr Wissen und damit mehr Macht über uns haben wird. Da wahrscheinlich die Big Player wie Facebook, Amazon, Apple nachziehen werden, werden diese Unternehmen die Macht über die Nutzer auf sich konzentrieren.
Ich denke nicht, dass sie ihre Macht in dem Sinne wie der Staat missbrauchen werden. Sie werden sie eher wirtschaftlich nutzen. Aber ist das „anonyme“ Scannen der Bewegungen der Glassnutzer, der von ihnen erfassten Beiträge, Shopauslagen, gehörter Musik, Abgleich mit Kontakten in der Nähe und Nutzung für umfeldbezogene Werbung nicht auch ein Missbrauch? Ist die so genannte „Filter Bubble„, also die Vorselektierung der Informationen anhand von Algorithmen, die unsere Vorlieben erfassen wollen, ein Missbrauch?
Dieses Videos ist zwar überspitzt, könnte aber ein Ausblick auf die Zukunft sein:
Die Fragen zur Nutzung der Daten für Werbezwecke müssen wir uns zwar noch beantworten, ein klarer Missbrauch ist dagegen ein Identitäts- oder echter Diebstahl.
Gefahr 8. Datenlecks- und Datenmissbrauch
Würden Sie daran denken Google Glass abzusetzen, wenn Sie sich an Ihrem Rechner anmelden, bei Ihrer Bank einloggen oder ihren Hausschlüssel in ein Geheimfach stecken würden? Ich denke, ich würde es häufig vergessen, wenn ich mich erst an die Brille gewöhnt hätte.
Vor diesem Hintergrund, dürfte das kriminelle Interesse an Zugriffen auf fremde Daten sich um ein Vielfaches erhöhen. Der erste Hack von Glass wurde angeblich bereits erfolgreich durchgeführt. Aber nicht nur Verbrecher könnten unseren Vermögensinteressen mit Hilfe von Glass schaden. Auch wir selbst könnten es tun.
Gefahr 9. Verschulden, Versicherungen
Stellen Sie sich vor, Sie waren mit der aufgesetzen Glass-Brille in einen Autounfall verwickelt. Zum einen stellt sich die Frage, ob Sie überhaupt mit Glass ein Auto führen dürfen (§ 23 StVO). Die Brille kann zwar ohne Hände verwendet werden und es gibt auch zugelassene Autos, die Navigationsinformationen auf die Fensterscheibe projizieren. Aber diese schweben nicht leicht über dem Auge und ein Navigationsgeät ist zudem für einen Videochat nicht nutzbar. Ich denke daher, dass das Autofahren mit Glass verboten wird.
Zum anderen wird Ihnen aus denselben Gründen auch das Verschulden an dem Unfall angelastet werden können. Das nicht nur von dem anderen Autofahrer, sondern auch von Ihrer Autohaftpflichtversicherung. Aber vielleicht haben Sie gerade einen Videochat geführt und hätten so einen Zeugen…
Gefahr 10. Beweise- & Beweisverwertungsverbote
Am Anfang dieser Aufzählung habe ich die Aufnahmen aus russischen Autos erwähnt. Diese werden von dortigen Autofahrern erstellt, um sich gegen gestellte Unfälle und korrupte Polizisten zu wehren. Auch hier könnte Glass aushelfen und das nicht nur im Straßenverkehr. Mit einer Glassaufnahme könnten Sie sich gegen Betrüger wehren, Vertragsverhandlungen aufzeichnen oder sogar Ihren Arbeitgeber, bzw. Ihre Arbeitnehmer beobachten.
Da es in Deutschland, vor allem bei Zivilstreitigkeiten, keine klaren Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln gibt, besteht die Gefahr einer privaten Vorratsdatenüberwachung für den Notfall. Und diese Anhäufung von Daten bringt wiederum all die obigen Probleme mit sich, womit sich der Kreis schließt.
Zwischenfazit
Ich hoffe Sie sind jetzt nicht durch die Faktenflut erschlagen oder halten mich für „technoparanoid„. Viele der obigen Risiken für die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte brachten bereits andere morderne Errungenschaften wie soziale Netzwerke und Smartphones mit sich.
Doch nach meiner Ansicht vergößert Google Glass all diese Gefahren. Ob deswegen ein Grund zur Sorge besteht oder unser Rechtssystem auf Datenbrillen vorbereitet ist, werde ich im zweiten Teil dieses Artikels erläutern.
Bis dahin sind Anregungen, Kritiken, Verbesserungen oder Erweiterungen gerne in den Kommentaren willkommen.
Artikelserie zu Google Glass im Blog:
- Welcome Cyborgs !-) Teil 1 – Die 10 Risiken von Google Glass
- Welcome Cyborgs !-) Teil 2 – Wird Google Glass sich durchsetzen?
- Google Glass – Rechtsbelehrung Folge 6 (Jura-Podcast) (ab 15.05.13)
Vertiefende Quellen zum Artikel
- Offizielle Seite von Google Glass
- Google Glass: what you need to know bei techradar.com
- Google Glass: Das kann die Datenbrille wirklich von Jan Tißler bei t3n
- Sergey Brin talks about Google Glass at TED 2013 (Video)
- Google Glass und der Datenschutz: Die herumlaufenden Überwachungskameras von Lorenz Matzat bei Netzpolitik.org
- Project Glass: Warum mir diese Zukunftsvision Angst bereitet – Ein Kommentar von Ypsilon bei nerdspiral.com
- AUGMENTED-REALITY-BRILLEN: Manifestation der Macht von Martin Weigert bei netzwertig.com
- Can Google Glass HARASS ? ? ? (Video)
- 3 New Ways Google Glass Invades Your Privacy von Shaq Katikala bei policymic
- The Google Glass feature no one is talking about von Mark Hurst bei creativegood.com
- I see you: The technopanic over Google Glass von Jeff Jarvis bei buzzmachine.com
- Stop The Cyborgs – Bewegung mit dem Ziel „The aim of the movement is to stop a future in which privacy is impossible and central control total.“
- Google Glass is Watching You: Are You Protected? von Kerry Gorgone bei socialmediaexplorer.com
- Surveillance, Sousveillance, Equiveillance: Google Glasses von Karsten Weber
- Re-tasking Google Glass for Law Enforcement von Doug Halsey
- If You Wear Google’s New Glasses You Are An Asshole von Adrian Chen bei Gawker.com
- Who’s Afraid Of Google Glass? von Jon Evans bei techcrunch.com