Googles Hangout on Air – Drohen Abmahnungen bei fehlender Rundfunklizenz?

Googles Hangout On Air kombiniert die Vorteile technisch einfachen Streamings mit der Möglichkeit einer Konferenzschaltung.
Googles Hangout On Air kombiniert die Vorteile technisch einfachen Streamings mit der Möglichkeit einer Konferenzschaltung.
Googles Hangout On Air kombiniert die Vorteile technisch einfachen Streamings mit der Möglichkeit einer interaktiven Konferenzschaltung. Man könnte es auch als soziales Live-Streaming beschreiben.

Am letzten Freitag habe ich an Deutschlands erstem virtuellen Barcamp teilgenommen. Dessen prominentester Beitrag kam vom Wirtschaftsminister Rößler, welcher von Daniel Fiene per Smartphone eingebunden wurde.

In der Session, zu der ich eingeladen wurde, ging es um die Frage, ob für Hangouts on Air eine Rundfunklizenz erforderlich ist. Daran schloss sich die Frage an, ob eine fehlende Lizenz zu einer Abmahnung führen kann. Angesichts des Potentials von Hangouts für Marketingzwecke eine sehr wichtige Frage, der ich in diesem Beitrag nachgehen möchte. Auch wenn dies juristische Ausführungen notwendig macht, versuche ich sie mit Beispielen zu veranschaulichen.

Was ist Googles Hangout on Air?

Das Netzwerk Google+ bietet mit so genannten „Hangouts“ eine sehr einfache und intuitive Möglichkeit Videokonferenzen zu veranstalten. Neuerdings ist es möglich diese live der Öffentlichkeit über Youtube zur Verfügung zu stellen. Damit kann jeder ohne technischen Aufwand eigene Sendungen mit Gästen und Interviewpartnern live im Netz anbieten. Das übliche Aufzeichnen und Hochladen der Videos entfällt.  Neben Konferenzen sind damit ganze Veranstaltungen, wie Barcamps, Talkshows (z.B. Das Digitale Quartett), Produktvorstellungen, Sprechstunden von Unternehmen, Recruitmentveranstaltungen oder Webinare möglich.

Doch es gibt ein Problem. Wer Sendungen öffentlich ausstrahlt, fällt schnell unter die Lizenzpflicht des Rundfunkstaatsvertrages (RStV)

Die Lizenzpflicht des Rundfunkstaatsvertrages

Der Rundfunkstaatsvertrag (Abkürzung: RStV, Langversion: Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien) regelt wer wann und unter welchen Voraussetzungen Rundfunk betreiben darf. Und was Rundfunk ist, bestimmt sich nach § 2 RStV, der folgende Kriterien vorgibt:

  1. Linearer Informations- und Kommunikationsdienst – Mit diesem juristischen Wortgebilde sind praktisch alle Mediendienste, also auch Videostreaming, umfasst.
  2. Zum zeitgleichen Empfang – Dieser liegt vor, wenn die Nutzer keinen Einfluss auf den Empfang haben. Videos die zum Abruf bereit stellen, also nicht live gesendet werden, stellen keinen Rundfunk dar.
  3. Gerichtet an die Allgemeinheit – Damit stellen Hangouts im Freundeskreis oder Videokonferenzen in Unternehmen, das heißt innerhalb geschlossene Gruppen, keinen Rundfunk dar.
  4. Von mehr als 500 Nutzern empfangbar – Da Googles Hangouts keine Zuschauerbegrenzung haben, sind sie potentiell von mehr als 500 Nutzern empfangbar. Auch wenn es praktisch nur 10 Zuschauer geben sollte.
  5. Meinungsbildende Relevanz – Gemeint ist damit, dass der Dienst Einfluss auf das Meinungsbild der Zuschauer nehmen kann. Diese Hürde ist sehr gering und wird schon erreicht, wenn Sie Ihre Meinung äußern, ein Geschehen kommentieren oder für ein Produkt werben.
  6. Sendeplan mit journalistisch-redaktionellen Gestaltung – Damit ist eine gewisse Vorplanung und Ordnung der Inhalte zu einer Sendung gemeint.  Aber auch die Zusammenstellung einzelner Sendungen zu einem Programm fällt unter dieses Kriterium.

Zusammengefasst sind vor allem die letzten beiden Punkte entscheidend. Umso unerfreulicher ist es, dass gerade für sie das Gesetz keine konkreten Kriterien bereit hält. Ich versuche sie trotzdem anhand von Beispielen zu verdeutlichen:

  • Beispiel 1 – Ein Nutzer startet einen Hangout, in dem er alleine oder mit anderen spontan los redet. In diesem Fall würde ich nicht von einem Sendeplan mit journalistisch-redaktioneller Gestaltung ausgehen.
  • Beispiel 2 – Der Nutzer aus dem obigen Beispiel bereitet den Ablauf, Themen oder Fragen vorab. In diesem Fall würde ich einen Sendeplan annehmen.
  • Beispiel 3 – Der Nutzer aus dem obigen Beispiel bereitet sich nicht vor, sendet aber regelmäßig jede Woche. In diesem Fall würde ich einen übergreifenden Sendeplan annehmen.
  • Beispiel 4 – Ein Unternehmen bereitet eine Fragestunde für potentielle Bewerber vor. An dieser Stelle könnte man bereits an einer meinungsbildenden Relevanz zweifeln, da es sich um eine rein sachlich auf den Unternehmenszweck bezogene Veranstaltung handelt. Anderseits will ein Unternehmen damit auch ein Bild von sich in der Öffentlichkeit prägen. Mich persönlich überzeugt eher das erste Argument.
  • Beispiel 5 – Ein Unternehmen bietet ein Webinar an. Auch hier könnte man davon ausgehen, dass das Ziel nicht der Einfluss auf die Meinungsbildung, sondern die Schulung das Ziel ist. Jedoch würde ich von Zulassungspflicht annehmen, wenn das Webinar von Diskussionselementen geprägt ist.
  • Beispiel 6 – Ein virtuelles Barcamp, bei dem insbesondere die Sessions vorab besprochen und zusammengestellt werden, verfügt über einen übergreifenden Sendeplan.
  • Beispiel 7 – Ein Nutzer streamt live den Blick aus seinem Fenster oder seine Katze. In diesem Fall sehe ich keine meinungsbildende Relevanz und damit keine Lizenzpflicht.
  • Beispiel 8 – Der Nutzer streamt live eine Demonstration oder ein Musikkonzert. Hier kann aufgrund des Inhalts eine meinungsbildende Relevanz vorliegen. Handelt es sich jedoch um eine spontane Aufnahme, würde ich wie im Beispiel 1 einen Sendeplan verneinen.

Der Antrag auf die Zulassung – oder auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung

Wenn Ihr Hangout entsprechend den obigen Vorgaben Rundfunk darstellt, bedürfen Sie einer Sendelizenz (§§ 20 – 24  RStV, rechtlich korrekt heiß es „Zulassung“). Den Antrag können Sie bei der zuständigen Landesmedienanstalt stellen. Dabei müssen Sie insbesondere begründen, dass Sie die hinreichende Zuverlässigkeit besitzen und die Meinungsvielfalt sichern werden  (§§ 20a und 25  RStV).

Im Fall des virtuellen Bloggercamps, hat Hannes Schleeh als Veranstalter einen solchen Antrag gestellt und innerhalb einer Woche eine Zulassungsgenehmigung erhalten. Allerdings aufgrund einer Sondergenehmigung für Testprojekte und mit der Auflage einen Bericht zu erstatten. Ein fairer Zug wie ich finde.

Die offizielle Zulassung des Virtuellen Bloggercamps im Hangout on Air der Bayerischen Zentrale für neue Medien
Die offizielle Zulassung des Virtuellen Bloggercamps im Hangout on Air der Bayerischen Zentrale für neue Medien

Ich denke auch, dass es den Landesmedienanstalten klar ist, dass das Gesetz nicht mehr zeitgemäß ist.  Vor allem ist die Gefahr, dass die Meinungsvielfalt durch einen Sender gefährdet wird, ist nicht gegeben, wenn praktisch jeder seine Meinung senden kann. Meines Erachtens ist hier eine ähnliche Ausnahme wie für Live-Podcasts für mehr als 500 Zuhörer erforderlich, die lediglich einer Anmeldung, aber keiner Zulassung bedürfen (§ 20b RStV).

Hinweis: Wenn Sie meinen, dass Ihr Hangout keinen Rundfunk darstellt und Rechtssicherheit haben wollen, können Sie auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen.

Bußgelder und Abmahnungen bei Verstößen?

Sollten Sie tatsächlich „Rundfunk“ ohne Zulassung betreiben, besteht die Gefahr eines Bußgelds von bis zu 50.000 Euro. Diese Summe klingt hoch, dürfte aber in der Praxis kaum und schon gar nicht in dieser Höhe verhängt werden. Vor allem bei solch komplizierter Rechtslage.

Was eher passieren könnte, wäre die Abmahnung eines Mitbewerbers oder einer Wettbewerbszentrale. Jedoch sind diese nur möglich, wenn es sich bei der Zulassungspflicht nach dem RStV um eine Regelung handeln würde, die – zumindest auch – den fairen Wettbewerb sichern soll (so genannte „Marktverhaltensregelung“ gem. § 4 Nr.11 UWG ). Davon gehe ich jedoch nicht aus.

Solche „Marktverhaltensregelungen“ sind daran zu erkennen, dass sie Wettbewerber oder zumindest Verbraucher als Marktteilnehmer schützen wollen:

  • Die Pflicht bestimmte Gewerbe zuzulassen ist eine Marktverhaltensregelung, weil die einzelnen Kunden vor unzuverlässigen und ungeprüften Anbietern geschützt werden sollen.
  • Die Pflicht Steuern zu zahlen ist keine Marktverhaltensregelung, da sie die Allgemeinheit und nicht einzelne Verbraucher schützen soll.
  • Ob die Pflicht zum Datenschutz eine Marktverhaltensregelung ist, wird unter den Juristen gerade kontrovers diskutiert. Die Befürworter berufen sich darauf, dass die Datenschutzgesetze gerade auch Verbraucher als Marktteilnehmer schützen sollen.

Der Rundfunkstaatsvertrag soll weder dem Schutz vor Wettbewerbern noch dem Schutz einzelner Verbraucher dienen. Vielmehr wird, ähnlich wie bei Steuergesetzen, die Allgemeinheit geschützt. Das Gesetz soll verhindern, dass zum Beispiel politische oder religiöse Strömungen ins Ungleichgewicht geraten und so zur Gefahr für die Demokratie oder Minderheiten werden (s. dazu das Urteil des Bundesverfassungsgerichts BVerfG 1 BvF 1/84).

Hinweis: Eine Ausnahme könnte vorliegen, wenn Sie ein Sendeangebot in einem Umfang erstellen, das praktisch großen Sendern Konkurrenz macht. Der Fall dürfte in diesem Zusammenhang eher theoretischer Natur sein.

Das erste Barcamp, an dem ich von Zuhause aus teilgenommen habe.

Fazit und Praxistipp

Erneut stößt der Rundfunkstaatsvertrag an seine Grenzen. Obwohl er die Meinungsvielfalt sichern soll, steht er ihr eher im Wege. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass die zuständigen Landesrundfunkanstalten bei etwaigen Verstößen milde oder gar nicht vorgehen werden und künftig eine Gesetzesänderung erfolgt. Minister Rößler fand zumindest auch, dass das Gesetz nicht zeitgemäß ist und forderte die Nutzer auf, ihm Vorschläge zur Gesetzesänderung vorzulegen.

Wer jedoch nach den oben genannten Voraussetzungen klar einen „Rundfunk“ anbietet, sollte eine Zulassung beantragen. Wer der Meinung ist, keinen Rundfunk anzubieten, aber auf Nummer sicher gehen will, sollte einen Antrag auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung stellen.

Bedanken möchte ich mich bei Hannes Schleeh, der das Bloggercamp veranstaltet hat, bei den Teilnehmern und Gerhard Schröder der die Diskussion zu rechtlichen Problemen angestoßen hat.

Updates

  • 13.01.2013 – Es gibt eine neue Checkliste „Checkliste der Medienanstalten für Veranstalter von Web-TV„, die jedoch nicht unbedingt mehr Klarheit bringt.
  • 05.04.2013 – Auch die Bundeskanzlerin möchte einen HoA veranstalten und muss sich die Frage nach dessen Zulässigkeit gefallen lassen. Es ist zu hoffen, dass durch diese Aufmerksamkeit die Neuregulierung voran gebracht wird. Übrigens, bei einem einmaligen Liveevent wird sie mangels eines „Sendeplans mit journalistisch-redaktionellen Gestaltung“ keine Rundfunklizenz benötigen (s. dazu Ausführungen im Beitrag).
  • 16.04.2013Gunnar Sohn berichtet, dass die Aufsichtsbehörden zunächst nicht gegen Live-Hangouts vorgehen werden. Dr. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender von ZAK und DLM sagt dazu:

    Wir müssen das Medienrecht novellieren und vernünftige Zwischenlösungen finden. Das gilt auch für die Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen und Parlamenten. Wir müssen von einer ex-ante-Regulierung zu einer ex-post-Regulierung kommen. Erst einmal die Dinge laufen lassen und dann nachschauen.

Weitere Informationen

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